Familienmitglieder sind sich oft sehr nahe, sie teilen Empfindungen, Erinnerungen und Geheimnisse. Doch nackt und unbeholfen mögen sich die wenigsten voreinander zeigen – dann lieber vor Arzt und Krankenschwester. Von Angehörigen, die zu Hause ein Familienmitglied mit ausgeprägter Blasenschwäche pflegen, ist darum besonders viel Einfühlungsvermögen gefordert.
Artikelinhalte im Überblick:
Würdevoller Umgang mit inkontinenten Pflegebedürftigen
Wer seine Mutter, seinen Vater oder Partner*in auf die Toilette begleitet und die Inkontinenzeinlage – möglicherweise auch Unterhose und Hose wechselt – greift in die Intimsphäre des anderen ein. Das kann das Verhältnis belasten. Spannungen lassen sich aber vermeiden, wenn pflegende Angehörige darauf bedacht ist, bei aller körperlichen Nähe zugleich Distanz zur Intimsphäre des geliebten Menschen zu wahren.
Folgende Verhaltensregeln helfen dabei:
Nie in Babysprache oder derben Worten über die intimen Verrichtungen sprechen – also kein "Hast du wieder Pipi gemacht" oder "Er hat wieder gepisst".
Die Inkontinenz des Familienmitglieds nicht zum beherrschenden Thema machen. Das heißt nicht, dass über das Problem nicht offen gesprochen werden sollte, doch tägliche Zustandsberichte wie "Heute hast du ja nur zwei Windeln gebraucht" zehren an den Nerven der Pflegebedürftigen.
Nicht in Anwesenheit von Besuch über die Inkontinenz sprechen.
Die Pflegebedürftigen nicht offener Tür auf der Toilette sitzen lassen.
Nicht überall in der Wohnung Zeichen der Inkontinenz verstreuen. So sollten etwa Vorlagen diskret untergebracht und nicht für Besuch sichtbar im Flur gelagert werden.
Durchnässte Unterhosen und Hosen nicht an prominenter Stelle über die Heizung hängen, sondern sofort an einem diskreten Ort ablegen.
Die Intimpflege zügig, aber nicht hektisch vornehmen.
Das Tragen von Einmalhandschuhen dient nicht nur der Hygiene, es kann auch Distanz schaffen. Es empfiehlt sich außerdem, die Wäsche von Pflegebedürftigen auch nach kleineren Malheurs sofort zu waschen. Häufiges Lüften sollte zur Gewohnheit werden, denn permanenter Uringeruch ist für alle unangenehm.
Das erleichtert die Pflege bei Inkontinenz
Blasenschwäche lässt sich oft gut in den Griff bekommen, wenn man einige Tipps beachtet.
Trinken: Pflegebedürftige Menschen mit einer Blasenschwäche sollten mindestens 1,5-2 Liter Flüssigkeit am Tag zu sich nehmen – außer medizinische Gründe sprechen dagegen. Oft versuchen Betroffene, dem unkontrollierten Harnverlust vorzubeugen, indem sie weniger trinken. Das fördert aber Harnwegsinfektionen und Verstopfungen. Bei der Wahl der Getränke sollte man bedenken, dass Kaffee, manche Teesorten, Säfte aus Zitrusfrüchten und Kohlensäurehaltiges harntreibend wirken können. Um nachts Harndrang und Einnässen zu reduzieren, sollten Pflegebedürftige tagsüber viel und nach 18 Uhr weniger trinken.
Essen: Die Ernährung sollte ausgewogen sein, viel Obst und Gemüse sowie ausreichend Ballaststoffe (zum Beispiel in Vollkornprodukten) enthalten. Das beugt Verstopfungen und Übergewicht vor. Beides kann eine Harninkontinenz fördern, indem der entstehende Druck den Beckenboden schwächt. Bei Verstopfung geschieht dies durch die starke Anstrengung beim Entleeren des Darms. Außerdem kann ein voller Darm auf die Blase drücken und zum Beispiel das Fassungsvermögen der Blase beinträchtigen. Vor allem bei Belastungsinkontinenz profitieren übergewichtige Frauen vom Abnehmen.
Bewegung fördert die Kontinenz. Angehörige sollten Pflegebedürftige darin unterstützen, auf die Toilette zu gehen. Man kann den Gang zum WC auch gemeinsam üben. Da die Balancefähigkeit im Alter nachlässt, ist es gut, sie regelmäßig zu trainieren. So gewinnen Betroffene Selbstvertrauen für ihren Weg auf die Toilette. Aufsteh- und Gehhilfen können gebrechliche Menschen dabei unterstützen, in Bewegung zu bleiben. Um die Fingerfertigkeit zu erhalten, die Betroffene brauchen, um ohne Hilfe Reißverschlüsse und Knöpfe auf der Toilette öffnen zu können, helfen beispielsweise Hand- oder Bastelarbeiten oder das Schälen von Obst und Gemüse.
Kleiden: Inkontinente Menschen sollten sich stets warm anziehen – besonders an den Füßen und am Unterleib. Die Unterwäsche sollte Luft durchlassen, damit Feuchtigkeit sich nicht staut und womöglich eine Blaseninfektion provoziert. Falls die Pflegebedürftigen Vorlagen oder Windeln tragen, sollte die Kleidung so weit sein, dass die Hilfsmittel sich nicht abzeichnen und ihre Träger dadurch in Verlegenheit bringen. Große Muster können kaschieren helfen. Damit die Kleidung auf der Toilette rasch zu öffnen ist, sind leichtgängige Reißverschlüsse und Klettstreifen erste Wahl oder Hosen mit Gummizug.
Wohnen: Menschen mit Demenz oder einer Orientierungsstörung finden den Weg zum WC oft nicht rechtzeitig und nässen deshalb ein. Hier kann es helfen, Hinweisschilder anzubringen. Da Betroffene sich häufig an frühere Zeiten erinnern, sollten Sie vertraute Motive und Begriffe verwenden – beispielsweise kennzeichnete früher ein Herz an der Holztür die Toilette. Empfehlenswert ist auch, den Toilettensitz in einer auffälligen Farbe zu wählen. Denn Demenzkranken fällt es schwer, ein weißes Klosett vor einem weißen Hintergrund zu erkennen. Außerdem fühlen Demente sich von Farbimpulsen angezogen und wissen dann oft intuitiv, wohin sie gehen müssen. Darauf achten, dass der Weg zur Toilette immer frei geräumt und gut beleuchtet ist. Schwellen am besten abflachen, Teppichkanten am Boden fixieren und Kabel festkleben. Auf der Toilette können erhöhte WC-Sitze, Halterungen oder Aufstehhilfen das selbstständige Wasserlassen erleichtern.
Hautpflege: Die Haut von Menschen mit Harninkontinenz braucht besondere Pflege, weil die Feuchtigkeit die Haut aufquellt und durchlässiger macht und der Urin zusätzlich den Säureschutzmantel der Haut angreift. Falls häufiges Waschen nötig ist, am besten nur klares Wasser verwenden. Ansonsten sind leicht saure Syndets mit einem ph-Wert von 5,5 bis 6 zu empfehlen. Nach dem Reinigen sollte eine Wasser-in-Öl-Lotion aufgetragen werden, um das Rückfetten der Haut zu unterstützen. Salben, Pasten und reines Fett, wie Vaseline oder Melkfett, dichten die Hautporen zu stark ab, stören so den Wärmeaustausch mit der Umwelt und können die Haut aufquellen lassen. Zudem beeinträchtigen sie die Aufnahmefähigkeit von Inkontinenzeinlagen und Windeln. Sie sollten daher nicht zur täglichen Pflege, sondern nur auf ärztlichen Rat zum Einsatz kommen. Wenn die Haut am After besonders sensibel oder schon geschädigt ist, können Langzeit-Hautschutzfilme in Sprayform sinnvoll sein. Um die Haut zu schützen, sollte man bei aufsaugenden Hilfsmitteln auf gute Qualität und einen Rücknässeschutz achten.
Toilettentraining und Beckenbodenübungen nicht vernachlässigen
In vielen Fällen ist ein Toilettentraining sinnvoll. Dabei notiert der Pflegebedürftige jedes Mal, zu welchem Zeitpunkt er Wasser gelassen hat. Nach einigen Tagen lässt sich anhand des Protokolls festlegen, zu welchen Zeiten ein Toilettengang empfehlenswert ist. Mit der Zeit können die Abstände zwischen den einzelnen Toilettengängen vergrößert werden. Ein Protokoll für das Toilettentraining gibt es bei der Gesellschaft für Inkontinenzhilfe unter www.gih.de zum Herunterladen.
Einfache Beckenbodenübungen sind bei älteren Inkontinenz-Patienten ebenfalls ein Versuch wert, meint die Pflegepädagogin Ingeborg Barden im Caritas-Magazin Sozial: aufrecht sitzen auf einem ziemlich harten Stuhl, sachte auf den Sitzknochen vor- und zurückschaukeln, mit geradem Rücken und so, dass sich nur das Becken bewegt. Wer seinen Beckenboden nicht recht spürt, kann sich bei dieser Übung ein Kirschkernkissen unters Gesäß legen. Damit Toiletten- und Blasentraining auch Erfolg zeigen, empfiehlt Ingeborg Barden:
Hindernisse auf dem Weg zur Toilette – wie Möbel und Teppiche – entfernen
bei Verwirrtheit oder Orientierungsproblemen die Toilettentür auffällig beschriften
zur Sicherheit Haltegriffe neben dem WC anbringen
das Zimmer des Pflegebedürftigen in Nähe der Toilette wählen
Kleidung, die sich leicht öffnen und schließen lässt, also: Klettverschlüsse statt Knöpfe und Gummizug statt Gürtel
Steckbecken (auch einfach "Topf" genannt), Urinflasche oder Toilettenstuhl für brenzlige Situationen anschaffen; auch bei Bettlägerigkeit können diese Hilfsmittel Selbstständigkeit bewahren
Betagte Inkontinenz-Patienten glauben oft, durch einen Verzicht auf Getränke ihre Blasenschwäche in den Griff zu bekommen. Doch von dieser Überzeugung muss die Familie sie unbedingt abbringen, rät Pflegewissenschaftlerin Elke Müller. Ein Flüssigkeitsdefizit fördert die Harninkontinenz möglicherweise sogar: So nimmt die Blutvolumen im Körper ab, was Verwirrtheitszustände erzeugt oder verstärkt. Der Toilettengang wird darum leicht einmal vergessen. Außerdem begünstigt Flüssigkeitsmangel Harnwegs- und Blaseninfektionen, die es wiederum erschweren, den Urin zu halten.
Pflege von inkontinenten Menschen durch Angehörige
Angehörige übernehmen die Pflege von Familienmitgliedern mit Blasenschwäche gerne selbst – allerdings wünschen sie sich dabei mehr professionelle Hilfe. "Dass Angehörige ihre pflegebedürftigen Familienmitglieder, die an Blasenschwäche leiden, am liebsten schnell in ein Pflegeheim einweisen würden, ist ein Vorurteil", sagt die Pflegewissenschaftlerin Daniela Hayder. Sie fand in einer Studie heraus, dass trotz vieler – vor allem emotionaler – Probleme die Angehörigen häufig gute Strategien entwickeln, um die zunächst ungewohnte Situation zu meistern.
Kosten für eine Pflegerin lohnen sich
"Der Prozess der Annahme der Harninkontinenz bei ihren Familienmitgliedern, im Sinne einer Akzeptanz, ist für viele pflegende Angehörige nicht leicht", sagt Hayder. Denn die Inkontinenz verdeutlicht Angehörigen die zunehmenden geistigen oder körperlichen Einschränkungen ihres Familienmitglieds, so Hayder.
Viele pflegende Angehörige wünschen sich professionelle Hilfe in Form von Pflegeleistungen oder Informationen, gerade damit ihre Familienmitglieder so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung der eigenen vier Wände leben können. Bestehen keine Ansprüche auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse, lohnt es sich dennoch, über eine Pflegekraft nachzudenken – auch wenn das nicht unbedingt günstig ist. Denn auch pflegende Angehörige sollten auf ihre Gesundheit und Zufriedenheit achten. So hebt es die Stimmung, mindestens einmal in der Woche für einige Stunden das Haus zu verlassen und eigenen Interessen nachzugehen. Manch pflegenden Angehörigen erleichtert es auch, sich mit einem Profi austauschen zu können.
Wer Interesse an Selbsthilfegruppen hat: Adressen findet man bei der Deutschen Kontinenz Gesellschaft im Internet.