Belastungsinkontinenz ist meist auf einen schwachen Beckenboden zurückzuführen: Bei Niesen, Husten, Lachen oder Heben drückt er nach unten, so dass Urin abgeht. Zum Glück lässt sich diese Form der Inkontinenz durch Beckenbodentraining oft komplett beheben. "Nach Geburten und Operationen habe ich bei meinen Patientinnen sehr gute Erfahrungen gemacht. Selbst bei ganz alten Frauen zeigt die Gymnastik häufig gute Wirkung", erklärt Physiotherapeutin Astrid Landmesser.
Frauen mit Kinderwunsch betreiben Beckenbodengymnastik am besten schon vor – oder zumindest während – der Schwangerschaft. So können sie verhindern, dass es überhaupt erst zu einer Belastungsharninkontinenz kommt, betont auch Professor Heinz Kölbl, Leiter der Abteilung für Gynäkologie und Gynäkologische Onkologie der Medizinischen Universität Wien.
Warum die Beckenbodenmuskulatur so wichtig ist
Den Beckenboden sieht und spürt man nicht, doch die Muskeln des Beckenbodens kann man willkürlich bewegen. Man kann sie anspannen und wieder locker lassen – wie die Muskeln in Armen oder Beinen. Den Beckenboden sollte man gezielt trainieren, denn er spielt eine im wahrsten Sinn tragende Rolle.
Seine Muskeln erstrecken sich wie eine Art Muskelplatte vom Schambein bis nach hinten zum Gesäß. Durchbrochen wird diese Muskelplatte von den Körperausgängen für den Enddarm und die Harnröhre – bei Frauen auch von der Scheide.
Der Beckenboden schließt den Bauchraum nach unten ab und trägt die inneren Organe des Bauch- und Beckenraums. Dazu gehören zum Beispiel der Darm, die Harnblase und bei der Frau die Gebärmutter. Es lastet immer ein gewisser Druck auf dem Beckenboden. Diesem Druck kann nur ein stabiler Beckenboden standhalten.
Neben seiner tragenden Rolle hat der Beckenboden eine weitere wichtige Funktion: Beim Wasserlassen öffnet er die Harnröhre und verschließt sie auch wieder. Damit dieser Verschluss auch wirklich sicher ist und nicht zum Beispiel beim Lachen, Husten oder Pressen undicht wird, muss der Beckenboden ebenfalls kräftig sein.
Beckenbodenübungen für Einsteiger
Es gibt also gute Gründe fürs Beckenbodentraining. Die wenigsten Menschen haben jedoch von vorneherein ein Gespür für ihren Beckenboden. Einige Übungen können helfen, die Muskulatur bewusst wahrzunehmen. Bevor Sie mit dem Beckenbodentraining beginnen, sollten Sie ein Gefühl für den Sitz Ihrer Beckenbodenmuskeln entwickeln. Dann wird Ihnen das Training leichter fallen.
Einsteiger-Übung 1: Nehmen Sie Ihren Beckenboden zunächst bewusst wahr. Stellen Sie sich vor, Ihr Beckenboden ist wie eine Schale, deren Boden bei den Übungen in den Bauch nach oben gestülpt oder gesogen wird.
Einsteiger-Übung 2: Halten Sie den Urinstrahl auf der Toilette kurz an. Danach den Urin weiterlaufen lassen. Dabei hilft es, die Pobacken zusammenzukneifen. Achtung: diese Übung nur verwenden, um erstmalig ein Gefühl für Ihre Beckenbodenmuskulatur zu entwickeln. Ein häufiges und mehrmaliges Unterbrechen des Harnstrahls kann einen verspannten (hypertonen) Beckenboden und eine Reizblase nach sich ziehen, so die Beckenboden-Expertin Landmesser.
Einsteiger-Übung 3: Für Frauen: Führen Sie einen Finger in die Scheide ein und versuchen Sie, ihn mit der Scheidenmuskulatur festzuhalten.
Einsteiger-Übung 4: Benutzen Sie einen Handspiegel, um das Heben und Senken des Beckenbodens zu beobachten.
Diese Übungen können später als Kontrolle dienen, um den Fortschritt des eigentlichen Beckenbodentrainings zu überprüfen.
Übungen für eine starke Beckenbodenmuskulatur
Setzen Sie sich auf einen Stuhl. Sie spüren Ihren Beckenboden besser, wenn Sie auf ein weiches Kissen als Unterlage verzichten.
Beckenbodenübung 1: Machen Sie Ihren Rücken rund und spannen sie die Muskeln rund um den After an, so als wollten Sie ihn nach innen ziehen. Halten Sie die Spannung, atmen Sie aus und zählen Sie langsam bis zehn (Fortgeschrittene bis 15). Dann die Muskeln um den After entspannen. Die Übung dreimal am Tag etwa 10 Mal wiederholen. Ein Tipp: Achten Sie darauf, dass die Bauch- und Pomuskeln bei der Übung locker bleiben.
Beckenbodenübung 2: Kippen Sie Ihr Becken nach vorne und zwar so, dass ein Hohlkreuz entsteht. In dieser Position spannen Sie die Muskeln rund um die Harnröhre – und bei Frauen rund um die Scheide – an. Beim Ausatmen wieder bis 10 (beziehungsweise 15) zählen, dann entspannen. Dreimal täglich etwa 10 Mal wiederholen. Auch bei dieser Übung wirken Bauch- und Pomuskeln nicht mit!
Beckenbodenübung 3: Ebenfalls ein gutes Gespür für den Beckenboden verleiht eine Übung von Benita Cantieni, Autorin des Buches "Tiger Feeling: Das sinnliche Beckenbodentraining": In bequemer Rückenlage mit angewinkelten und auseinander geklappten Beinen eine Hand in den Schritt legen, dann versuchen, die flache Hand in den Körper zu saugen. Frauen sollten bei dieser Übung am Damm einen kleinen Sog verspüren.
Ein spezielles Beckenbodentraining für Männer wird in diesem Artikel erläutert.
Beckenbodengymnastik für den Notfall
Nicht nur Betroffenen von Harninkontinenz kann es passieren, dass sie einen plötzlichen Harndrang unauffällig und schnell lindern möchten.
Beckenbodenübung für den Notfall: Beugen Sie den Oberkörper nach vorne und unten. Dabei können sie beispielsweise die Schnürsenkel der Schuhe neu binden. Die vornübergebeugte Haltung ändert die Druckverhältnisse im Bauchraum und der Harndrang verringert sich.
Sind Sie nicht sicher, ob Sie Ihren Beckenboden wirklich spüren oder das Training richtig ausführen, fragen Sie bitte Ihren Arzt oder lassen Sie sich Hilfestellung von einem erfahrenen Physiotherapeuten geben.
Bewegungen, die dem Beckenboden schaden
Viele unbewusste Bewegungen im Alltag tun dem Beckenboden gar nicht gut. Um die Muskulatur vor allem bei Belastungsinkontinenz nicht weiter zu schwächen, sollte man jeglichen Druck von oben vermeiden, zum Beispiel:
beim morgendlichen Aufstehen nicht aus liegender Position gerade im Bett aufrichten: Während der Oberkörper hochkommt, werden die Organe im unteren Becken durch die angespannten Bauchmuskeln auf den Beckenboden gedrückt. Stattdessen: Rollen Sie sich im Liegen zunächst auf die Seite und stützen den Oberkörper erst dann auf.
keine Sit-Ups: Die beliebte Bauchmuskelübung funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie das Aufschnellen im Bett und ist deshalb bei Belastungsinkontinenz, aber auch während der Schwangerschaft tabu. "Schwangere und Frauen, die erst vor wenigen Monaten entbunden haben, dürfen diese Übung wegen ihres weichen Beckenbodens nicht praktizieren", sagt Physiotherapeutin und Kontinenztrainerin Astrid Landmesser. Stattdessen: Bauchmuskelübungen im Vierfüßlerstand praktizieren, da in dieser Position kein Druck auf den Beckenboden wirkt.
Beckenbodentraining im Alltag
Körperhaltungen, die den Rücken schonen, fördern auch einen starken Beckenboden. Daher empfehlen Experten:
gerade gehen und sitzen, denn ein gebeugter Oberkörper staucht die Bauchorgane zusammen und drückt sie nach unten auf den Beckenboden.
beim Heben immer in die Knie gehen und den Gegenstand nahe am Körper halten, zusätzlich die Beckenbodenmuskeln anspannen.
bei körperlicher Anstrengung wie Heben die Atmung weiterfließen lassen. Nicht die Luft anhalten: Dies verhindert die Bewegung des Zwerchfells, ohne die Rücken-, Bauch- und Beckenbodenmuskulatur nicht vernünftig arbeiten können.
beim Husten und Niesen den Kopf über die Schulter nach hinten drehen. So lässt sich vermeiden, dass der Oberkörper automatisch vornüber schnellt und der ohnehin hohe Druck im Bauchraum verstärkt wird.
Beckenbodentrainerin Landmesser warnt Frauen mit Blasenschwäche zudem davor, beim Wasserlassen und Stuhlgang stark zu pressen. Denn bei dieser Kraftanstrengung ist förmlich zu spüren, wie der Beckenboden dem Druck ausweicht und nach unten tritt.
Beckenbodentraining während des normalen Tagesablaufs funktioniert auch mit Kugeln, die die Frau in die Scheide einführt. Wie diese Vaginalkonen funktionieren, erfahren Sie hier.
Den Beckenboden nicht ständig anspannen!
Bei allen Beckenbodenübungen ist die Entspannungsphase sehr wichtig und sollte nie übergangen werden. "Die immer noch sehr verbreitete Auffassung, man müsse den Beckenboden immer anspannen, ist falsch. Wer verlernt, den Beckenboden zu entspannen, bekommt Probleme mit der Ausscheidung von Harn und Stuhl sowie eventuell mit der Sexualität", sagt Landmesser.
Persönliches Beckenbodentraining ist empfehlenswert
Frauen, die unter Belastungsinkontinenz leiden, sollten sich nicht scheuen, ihren Arzt um ein Rezept für eine spezialisierte Physiotherapie zu bitten. Denn unter Anleitung haben Patientinnen die Sicherheit, tatsächlich die richtigen Muskeln zu trainieren. "Hinzu kommt: Die Probleme der Frauen sind so vielfältig, dass jede Frau eigentlich ein persönliches Trainingsprogramm braucht", sagt Landmesser. Bei manchen Frauen verbessert sich die Blasenschwäche schon nach sechs Behandlungsstunden, gelegentlich sind jedoch bis zu 18 Übungseinheiten nötig. Nach der Behandlung heißt es jedoch weiterhin: üben, üben, üben. Ohne regelmäßiges Training bilden sich die Muskeln wieder zurück.
Beckenbodenmaschine erleichtert Training
- nikkolrot.ch / Kieser Training GmbH
Es gibt auch Fitnessmaschinen, die den Beckenboden kräftigen. Ein Drucksensor in der Sitzfläche der Beckenbodenmaschine registriert die Intensität der Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur und überträgt sie auf einen Bildschirm. So kann man selbst kontrollieren, wie effektiv die Übungen sind.
Zu Beginn des Trainings analysiert das Gerät, wie stark die Beckenbodenmuskulatur ist. Aus diesen Daten berechnet es ein individuelles Trainingsprogramm, das Kontraktionen und Entspannung genau vorgibt.